Objekt des Monats November 2021
Der Papierkorb
Fundgrube neuer Entdeckungen
Die Kinder Ostwalds hatten die Erlaubnis, jederzeit in die Studierstube des Vaters zu kommen, wenn sie ihn nicht durch Fragen störten, sondern warteten, bis er Zeit für sie hatte. Das Arbeitszimmer war eine Fundgrube neuer Entdeckungen, angefangen mit allerlei Gerätschaften und Apparaturen, die der Vater immer kindgemäß erfassbar erläuterte, bis hin zum Papierkorb, der unerschöpfliches Material enthielt.
Elisabeth, viertes Kind von Helene und Wilhelm Ostwald, berichtete aus ihren Kindheitstagen: „Vom Papierkorb habe ich noch zu erzählen, daß der große Mengen handgeschriebener Manuskripte enthielt. Mit einer dunkellila Tinte, (heute würde ich sie in Kenntnis seiner Farbordnung als Veil bezeichnen), schrieb er in seiner schönen, klaren Handschrift mit deutschen Buchstaben auf Bögen in der Größe eines Schulheftes in Querlage. Die unbeschriebene Rückseite schätzten wir Kinder ungemein, um darauf unserer Phantasie in Bezug auf Eisenbahnen, Blumen, Gesichter usw. freien Lauf lassen zu können.“
Die Papierkörbe gingen ebenso wie die Post, durch Mutter Helenes Kontrolle und sie triumphierte, wenn sich wieder einmal ein übersehenes Blatt, eine Briefmarke oder gar Geldscheine in zu sorglos geöffneten Umschlägen fanden. Es kam nicht selten vor, dass Ostwald ungerührt wochen- oder monatelange Arbeit in den Papierkorb warf, um mit besserer Methode neu anzufangen. Fehlfarben kamen unbarmherzig in den sehr großen Papierkorb. Nach malerischer Betätigung reinigte Ostwald seine Pinsel mit Lösungsmitteln und wischte diese auf Zeitungspapier aus, welches anschließend in den Papierkorb wanderte. Beim Malen vor der Natur hatte er Tochter Grete schon als Zwölfjährige angehalten, Papierblätter nicht unschön fortzuwerfen, sondern möglichst unsichtbar zu beseitigen.
Eines Novembers gab es einen Schrecken: einen zum Glück glimpflich endenden Brand im Labor, verursacht durch einen platzenden Kolben mit Benzin, der einen gläsernen Spiritusbrenner zerschlug. Geistesgegenwärtig rückte Ostwald zuerst die Flaschen mit feuergefährlichen Inhalten auf dem Tisch aus der Nähe des Flammensees, schloss dann die Tür zum Haus um ein Gefäß mit Wasser aufzufüllen. Der vom Tisch laufende brennende Spiritus hatte seinen Papierkorb und einen Rohrstuhl entzündet, die jedoch bald gelöscht werden konnten.
Quelle: Aufzeichnungen Elisabeth Brauer Erinnerungen an meinen Vater, Auszüge aus Buch Grete Ostwald Mein Vater