WILHELM OSTWALD
Physiko-Chemiker, Nobelpreisträger, Universalgelehrter
Friedrich Wilhelm Ostwald wurde am 2. September (21. August laut julianischem Kalendarium) 1853 in Riga/Gouvernement Livland als zweiter von drei Söhnen des Böttchermeisters Wilhelm Gottfried Ostwald und dessen Frau Elisabeth, geborene Leuckel, geboren.
Frühzeitig interessierte er sich für Naturwissenschaften, vor allem für die Chemie. Ostwald verbrachte viel Zeit mit Experimenten, beispielsweise zur Fotografie oder mit pyrotechnischen Feuerwerken. Nach Abschluss des Realgymnasiums Riga studierte er ab 1872 Chemie an der Universität Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland. Seine Magisterarbeit zum Thema „Volumchemische Studien über Affinität“ legte Ostwald 1877 vor, im Folgejahr seine Dissertation „Volumchemische und optisch-chemische Studien“.
Seine jahrzehntelange Lehrtätigkeit nahm Ostwald 1880 als Privatdozent am Chemischen Institut in Dorpat auf. Im selben Jahr heiratete er seine Verlobte Helene von Reyher. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter und drei Söhne hervor. 1882 wurde Ostwald als Professor an das Rigaer Polytechnikum berufen, wo er seine Lehre und die Forschungen zur Anwendungen des Massenwirkungsgesetzes fortsetzte.
Im Jahre 1887 berief das sächsische Kultusministerium Ostwald auf den Lehrstuhl für physikalische Chemie der Universität Leipzig, seinerzeit der weltweit einzige dieser Fachrichtung. Über zwei Jahrzehnte lehrte und forschte Ostwald hier, bildete zahlreiche deutsche und internationale Studenten aus, unterhielt regen Kontakt mit Wissenschaftlern in Europa und Nordamerika. Neben der Entdeckung der Beziehung zwischen Dissoziationsgrad und Konzentration der Säurelösung (Ostwaldsches Verdünnungsgesetz) erforschte er unter anderem die energetische Betrachtungsweise zur Untersuchung physikalisch-chemischer Vorgänge (Ostwaldsche Stufenregel, Ostwald-Reifung). Außerdem entstanden zahlreiche Publikationen, beispielsweise 1889 das Lehrbuch „Grundriß der allgemeinen Chemie“. Zudem gründete er die Buchreihe „Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften“, die über 200 elementare Originalwerke aus allen Bereichen der Naturwissenschaften republizierte, beispielsweise von Helmholtz, Lichtenberg, Kant, Gauß, Euler und vielen anderen.
Für Ostwald stellte sich bei seinen Forschungen zunehmend die Frage nach der Anwendung der Erkenntnisse in der sich rasant entwickelnden Großindustrie. Seit 1894 forschte er zu Fragen der Zeitabläufe in chemischen Prozessen und an der wissenschaftlichen Begriffsbildung der Katalyse. Für diese grundlegenden Arbeiten sollte ihm 1909 der Nobelpreis für Chemie verliehen werden.
Gemeinsam mit seinem Assistenten und späteren Schwiegersohn Eberhard Brauer erarbeitete er 1901 die wissenschaftlich-technischen Grundlagen zur Herstellung von Salpetersäure durch katalytische Ammoniakoxidation an Platinkontakten. Damit wurde der Grundstein für elementare Prozesse der chemischen Industrie zur Herstellung von Düngemitteln, Farb- und Sprengstoffen gelegt.
Eine Einladung an die Universität Berkeley/Kalifornien führte Ostwald 1903 erstmals in die USA. 1905 reiste er im Rahmen eines neu eingerichteten deutsch-amerikanischen Wissenschaftleraustauschs als erster deutscher Vertreter in die USA und hielt Vorlesungen an der Columbia University in New York, der Harvard University in Cambridge und am Massachusetts Institute of Technology in Boston zur physikalischen Chemie und naturphilosophischen Themen.
Auf eigenen Wunsch wurde Wilhelm Ostwald 1906 aus der Professur an der Leipziger Universität entlassen. Mit seiner Familie siedelte er auf den bereits 1901 erworbenen Landsitz Energie in Großbothen über. Hier arbeitete er fortan als freier Forscher in vielfältigen Bereichen der Naturwissenschaften, Farbforschung, Naturphilosophie und Wissenschaftsorganisation. Zudem übernahm er in vielen Organisationen und Gesellschaften den Vorsitz, publizierte in großer Menge eigene und fremde Werke.
Ostwalds Forschungen zur Farbe und deren Systematisierung im Auftrag des Deutschen Werkbundes begannen bereits vor dem Ersten Weltkrieg, und schon 1917/18 erscheinen der Ostwaldsche Farbatlas und die Farbenfibel. Im Jahr 1920 gründete Wilhelm Ostwald die Firma Energie-Werke GmbH, die ihren Sitz im Haus Werk nahm und mit der er Anschauungs- und Schulungsmaterial zur Farbenlehre produzierte. Ostwald begründete darüber hinaus verschiedene Zeitschriften, unter anderem 1927 Die Farbe.
»Ich betone schon hier, daß ich die Schaffung der messenden Farbenlehre für die höchste Leistung halte, die mir zu vollbringen gegönnt gewesen ist.«
WILHELM OSTWALD, LEBENSLINIEN, 1926/27
Wilhelm Ostwald darf als einer der letzten Universalgelehrten angesehen werden. Gleichzeitig war er seiner Zeit in vielen Bereichen voraus. Sein Leben widmete er nicht nur der physikalischen Chemie, über Jahrzehnte hinweg beschäftigte er sich ebenso mit philosophischen, psychologischen und pädagogischen Themen. Speziell sein Interesse für die Energetik, den Monismus, aber auch für die Nutzung von Windenergie und die Normierung von Papierformaten bezeugen ein breites Schaffensspektrum. Seine jahrelangen Forschungen zur Farbnormierung führten ihn zu einem Ordnungssystem von Farben, das in verschiedenen Industriezweigen Anwendung fand.
Am 4. April 1932 verstarb Wilhelm Ostwald im Alter von 79 Jahren in einer Leipziger Privatklinik. Er wurde im Steinbruch seines Landsitzes Energie in Großbothen beigesetzt.