Objekt des Monats September 2024
Gleicharmige Balkenwaage
Das Wiegen von Objekten ist eine sehr alte Kulturleistung der Menschheit. Sie ermöglicht den Vergleich der Masse verschiedener Gegenstände. Einerseits ist dies die Basis für den kontrollierten Warentausch und –handel, andererseits ist es auch Grundlage für die Festlegung von Rezepturen verschiedenster Art. Insofern ist es selbstverständlich, dass sich auch im Haushalt Wilhelm Ostwalds Waagen befunden haben, dies umso zwingender, als für ihn als Naturwissenschaftler das exakte Abwiegen von Chemikalien eine Grundvoraussetzung für seine Forschungsarbeit darstellte. In seinem Nachlass haben sich mehrere verschiedene Waagen erhalten. Bei unserem Objekt handelt es sich um den Bautyp der Balkenwaage, welcher den ältesten Typus von Waagen darstellt. Verwendung fand dieser bereits in den vorderasiatischen Hochkulturen und Ägypten vor circa 7000 Jahren. Das zugrundeliegende Prinzip nutzt das Hebelgesetz, wonach Last mal Lastarm gleich Kraft mal Kraftarm ist. Wird an einem ausbalancierten Waagebalken mit mittiger Lagerung ein zu wiegendes Objekt aufgehängt, kann durch das gegenüberliegende Anhängen von Gewichten ein Gleichgewicht hergestellt werden. Ist der Waagebalken wieder in der Waagerechten, sind Objekt und Gewichte gleich schwer. Zu berücksichtigen sind dabei Fehlerquellen wie beispielsweise die Reibung in der Achslagerung des Waagebalkens. Dies wurde im Laufe der Entwicklung immer weiter optimiert, sodass zu Ostwalds Zeiten bereits Messungen im Bereich von 1/1.000-Gramm technisch zuverlässig möglich waren.
Die Waage im historischen Labor Wilhelm Ostwalds ist ein vergleichsweise einfach konstruiertes Modell. An einem leicht geschwungenen Waagebalken aus Messing hängt beidseitig jeweils eine Waagschale an langen Bügeln. Als Wiegebereich ist auf dem Balken eine Markierung mit 50 g eingeprägt, die den maximal vorgesehenen Messbereich angibt. Zum Austarieren befindet sich an den Balkenenden jeweils eine Rändelschraube. Durch das Herein- bzw. Herausdrehen der kleinen Gewichte kann bei Bedarf die Lastverteilung des Systems vor dem Wiegen korrigiert werden, sodass die Waage in Nullstellung steht. Mittig im Drehpunkt ist ein nach unten weisender, langer Zeiger montiert, der auf einer am Fuß angebrachten Skale die aktuelle Abweichung anzeigt. Der messingfarbene Hebel unter der Skala dient dazu, das eigentliche Messsystem der Waage über den senkrechten Metallstab durch Umlegen von einer Seite zur anderen anzuheben bzw. abzusenken. In gesenktem Zustand liegt der Waagebalken auf den beiden seitlichen Stiften auf, was das Hantieren an den Waagschalen vereinfacht und vor allem die Lagerpunkte entlastet.
Auf der schwarzen, rechteckigen Grundplatte ist ein kleines Schild der Firma Hugershoff befestigt. Karl Heinrich Franz Hugershoff (1809–1886) hatte 1844 seine „mechanischen Werkstätten“ in Leipzig begründet die in der Folge Apparate und Geräte für Chemie, Bakteriologie, Physik und verwandte Zweige herstellte und vertrieb. Seine Söhne führten die Firma weiter und zumindest bis 1929 ist sie mit eigenen Produktkatalogen nachweisbar. Wann Ostwald die Waage erwarb, ist nicht bekannt. Sie dürfte jedoch insbesondere bei seinen Forschungen zur wissenschaftlichen Farbenmessung ab 1914 eingesetzt worden sein.
Eine weitere, für größere Massen ausgelegte Balkenwaage in der Sammlung diente dann möglicherweise für die praktische Umsetzung der Forschungsergebnisse in Produkte, die über Wilhelm Ostwalds Energie-Werke GmbH als Anschauungs- und Schulungsmaterial zur Farbenlehre produziert wurden.
Maße: 23 × 31 × 16,5 cm