Objekt des Monats April 2024
Erinnerungsalbum Polytechnikum Riga
Von 1882 bis 1887 lehrte Wilhelm Ostwald (1853 – 1932) als Professor für Chemie und Ordinarius am Polytechnikum in Riga. Zum Abschied überreichten ihm seine Kollegen ein prächtiges Erinnerungsalbum. Der Bucheinband ist mit dunkelbraunem, leicht genarbten Leder überzogen und wird mit einem vernickelten Messingverschluss zusammengehalten. Die Seiten des Buchblocks bestehen aus dickem Karton und sind an den offenen Kanten, dem Buchschnitt, silberfarben. Den Deckel des Albums ziert ein dreidimensionales Ornament aus Messing und Bronzeguss. Es zeigt einen nach links gelehnten Schild, bekrönt von einem geflügelten mittelalterlichen Visierhelm und seitlichen floralen Elementen. Der Wappenschild trägt folgende Beschriftung:
Ihrem lieben Collegen
Prof. Dr. W. Ostwald
z. fr. Er.
an die Professoren des
Polytechnikums zu Riga
Im Innern des Albums sind 20 Porträtfotografien der einstigen Kollegen Ostwalds eingelegt. Jede Albumseite hat einen aufgedruckten, linear akzentuierten Rahmen sowie eine ovale Öffnung zum Einstecken der Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Darunter befindet sich ein Textfeld, in dem der Name des Porträtierten handschriftlich eingetragen wurde, ähnlich einer Unterschrift. Die Anordnung der Namen erfolgte in alphabetischer Reihenfolge: Alexander Beck, Heinrich von Bretfeld, John Clark, Max Glasenapp, Theodor Groenberg, Martin Grübler, Gustav Hilbig, G. Kieseritzky, Woldemar von Knieriem, J. Koch, Gustav Lang, August Lieventhal, Karl Lovis, Heinrich Malcher, Carl Mohrmann, C. L. Moll, Edmund Pfuhl, G. Thoms (vermutlich), E. Wehrlin, H. Westermann. Auf der letzten Albumseite ist eine Fotografie des ersten Gebäudes des Polytechnikums in Riga zu sehen.
Das Polytechnikum begann 1862 mit dem Studienbetrieb in vier technischen Fakultäten: Architektur, Ingenieurwesen, Maschineningenieurwesen und Chemie sowie einer landwirtschaftlichen und einer kommerziellen Fakultät. Wilhelm Ostwald war von 1882 bis 1887 an der Fakultät Chemie tätig, sein Bruder Eugen Ostwald (1851 – 1932) lehrte von 1878 bis 1902 im Bereich Forstwissenschaftslehre.
Die in dem Erinnerungsalbum aufgeführten Personen sind zum großen Teil den technischen Fakultäten zuzuordnen, viele waren als Professoren berufen. Der Mathematiker Gustav von Kieseritzky (1830 – 1896) und der Nationalökonom August Lieventhal (1844 – 1900) fungierten beide während Wilhelm Ostwalds Schaffenszeitraum als Direktoren des Polytechnikums.
An Gustav von Kieseritzky erinnerte sich Wilhelm Ostwald in seiner Autobiografie wie folgt: „Bei meinem Antritt amtete als Direktor ein älterer Mathematiker namens Kieseritzky, der seit vielen Jahren bei den vorgeschriebenen Neuwahlen immer wieder ernannt worden war. […] Er war ein vortrefflicher Lehrer seines Faches, über dessen Grenzen sein Gesichtskreis aber kaum hinausreichte. Wissenschaftliche Arbeit hatte er nie getrieben.“
Der Physiker Theodor Groenberg (1845 – 1910) und der Agrarwissenschaftler Woldemar von Knieriem (1849 – 1935) waren spätere Direktoren des Polytechnikums.
Wilhelm Ostwald beschrieb seinen eigenen Amtsantritt am Polytechnikum in Riga wie folgt: „Von den besonderen Schwierigkeiten, welche die Professur in Riga mit sich bringen würde, hatte ich mir vorher gar keine Vorstellung zu machen versucht. […] Ich muß meinen damaligen Vorgesetzten und Kollegen dankbar das Zeugnis geben, daß sie dem jugendlichen Dränger und Stürmer keine Hindernisse in den Weg legten.
[…] Die Studenten hatte ich bald ganz gewonnen. Mir wurde folgendes Gespräch zwischen zwei polnischen Studenten (die ziemlich zahlreich vertreten waren) berichtet: A.: »Hast du schonn gehörrt neuen Professor? B.: Nein, was ist? A.: Du mußt hörren ihn, da geht Chemie in Kopf wie mit Schaufel.«“
Im Jahr 1887 beendete Wilhelm Ostwald seine Professorentätigkeit in Riga und schrieb darüber: „Aber mehr und mehr machte sich doch die Einsicht geltend, daß das Polytechnikum meiner Vaterstadt nicht der richtige Boden für die Ausführung der Aufgaben war, die mir, ohne daß ich einen vorbedachten Plan verfolgt hatte, selbsttätig in die Hand gewachsen waren. […] Mit dem Jahre 1887 erhob sich aber an meinem Horizont eine Aussicht von so blendendem Glanze, daß ich meine Augen nur verstohlen auf sie zu richten wagte und ihre Verwirklichung zwar von ganzem Herzen wünschen, vernünftigerweise aber nicht erhoffen konnte.“
1887 wurde Wilhelm Ostwald an die Universität Leipzig als Professor für Physikalische Chemie berufen.
Maße: 32 × 27 × 5 cm
Zitate aus: Ostwald, Wilhelm: Lebenslinien, 1. Teil, 1926