Objekt des Monats Februar 2022
Sascha Schneiders Ex Libris für Wilhelm und Grete Ostwald
Als Ex Libris werden grafisch-künstlerisch gestaltete Signets auf kleinformatigen Papieren bezeichnet, die seit Aufkommen des Buchdrucks im 15. Jahrhundert Verbreitung fanden und auf den Besitzer eines Buches verweisen. Bis zur Einführung des mechanischen Buchdrucks mittels beweglicher Metalllettern durch Johannes Gutenberg am Ausgang des 15. Jahrhunderts waren Bücher ausschließlich durch handschriftliche Reproduktion zu vervielfältigen. Gleichzeitig stellte die Fähigkeit des Lesens und Schreibens eine privilegierte Kenntnis dar. Entsprechend exklusiv war der Besitz von Büchern und nur auf ausgesprochen wohlhabende, meist kirchliche oder hochadlige Kreise beschränkt. Das Verfahren des Buchdrucks ermöglichte die vergleichsweise einfache und preiswerte Reproduktion von Texten in Auflagen von mehreren Hundert oder gar Tausend Exemplaren. Mit der Verbreitung von Büchern und der Einrichtung von Bibliotheken wurde es als notwendig empfunden, den Besitz des einzelnen Buches nachzuweisen, wofür neben Stempeln, Prägungen oder Gravuren die gedruckten Ex Libris zunehmend Verbreitung fanden.
Wilhelm Ostwalds überlieferte Bibliothek umfasst noch heute über 20.000 Einzelwerke unterschiedlichsten Umfangs. Die Bedeutung des Kulturgutes Buch für Ostwald ist durch die pure Anzahl eindrücklich manifestiert. Ohne den Buchdruck, wäre die Entwicklung der Wissenschaften und der modernen europäischen Kultur nicht vorstellbar, eine Feststellung, die Ostwald zweifellos geteilt hat.
Die zwei in der Sammlung vorhandenen Ex Libris-Entwürfe für Wilhelm Ostwald und die älteste Tochter Margarete (1882–1960) stammen von Rudolph Karl Alexander, genannt Sascha Schneider (1870–1927). In Sankt Petersburg geboren, hatte Schneider 1889 bis 1893 an der Dresdner Kunstakademie studiert und war von 1903 bis 1908 – auf Empfehlung Max Klingers – Professor für Aktzeichnen an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar, wo auch Grete Ostwald 1907/08 zu seinen Schülerinnen gehörte. Als Künstler pflegte er einen der Zeit entsprechenden naturalistischen, jedoch inhaltlich stark symbolistisch aufgeladenen Stil. Charakteristisch für sein Werk ist die große Anzahl männlicher Aktdarstellungen in verschiedenen künstlerischen Techniken. Mit seinen Männerakten stand Schneider keineswegs allein, vielmehr spiegelt sich darin die durchaus zeitübliche akademische Schule wieder. Darüber hinaus war der nackte Mensch durch Reformbewegung und Freikörperkultur ab dem späten 19. Jahrhundert zunehmend in der Gesellschaft präsent, selbst wenn dies in konservativen Kreisen gleichzeitig vehement abgelehnt wurde. Darüber hinaus darf in der Wahl des Sujets aber auch ein Ausdrucksmittel für Schneiders homosexuelle Prägung gesehen werden.
Für Wilhelm Ostwald wurde Sascha Schneider im Zusammenhang mit seiner Farbforschung und der von ihm propagierten Verwendung von Pastellfarben auch für großformatige Wandgemälde zumindest zweitweise zu einem bedeutenden Partner.
Die beiden als Tuschzeichnungen ausgeführten Entwürfe stehender Knabenakte im Format von circa 55 × 30 Zentimeter gehen auf eine Anfrage Ostwalds zurück, die Schneider sehr bereitwillig aufnahm. Überliefert ist, dass ein erster Entwurf nicht die Zustimmung Wilhelm Ostwalds fand. Daraufhin änderte Schneider die Körperhaltung der Jünglingsfigur. Ostwald wünschte sich den Ausdruck von Erkenntnis und Zuversicht die Schneider durch die gestreckte Körperhaltung und den festen Blick in die Ferne versinnbildlichte. Außerdem sollte statt Ex Libris das Wort Buecherei verwendet und der Name Wilhelm ausgeschrieben und nicht abgekürzt werden.
Im Laufe der Zeit wurde ein zweites Ex Libris für die Tochter Grete beauftragt und ausgeführt. Beide wurden schließlich als Auflage gedruckt. Die Motive wurden dabei auf Vorschlag des Künstlers und dem angedachten Verwendungszweck folgend auf ein Format von circa 10 × 6 Zentimeter verkleinert. In der Ostwaldschen Bibliothek fanden sie indes kaum Verwendung. Nur sehr vereinzelt finden sie sich in Bücher eingeklebt, wie es der Bestimmung von Ex Libris entspräche. Ob dies letztlich dem Motiv geschuldet ist oder andere Ursachen hat, bleibt offen.