Objekt des Monats Juli 2023
Falthocker zum Malen in der Landschaft


Wilhelm Ostwald malte mehr als drei Jahrzehnte als Hobby und insbesondere während seiner berufstätigen Zeit diente ihm dies als bewusster mentaler Ausgleich zu seiner fordernden geistigen Tätigkeit. Über einen langen Zeitraum war die Malerei in der Landschaft sein bevorzugtes Metier, welches er sowohl auf Wanderungen in der Umgebung seiner Wohn- oder Ferienorte als auch während teils ausgedehnter Berufsreisen, wie 1904 und 1905 in die Vereinigten Staaten von Amerika, ausübte.
Seit circa 1800 hatte die Landschaftsstudie in der europäischen Künstlerschaft eine erste große Blüte, die jedoch dem Publikum weitgehend verborgenen blieb. Die Arbeiten dienten den Künstlern vorwiegend als sehr persönliche Bestandsaufnahme in unmittelbarer Anschauung der Natur und waren kaum für das Licht der Öffentlichkeit gedacht. Zumeist blieben sie in den Ateliers der Schöpfer verborgen oder wurden im Freundeskreis der Künstler getauscht. Für Sammlungen waren sie nicht gedacht, entsprachen sie doch weder motivisch noch in repräsentativer Hinsicht den zeitgenössischen Vorstellungen von vollgültigen Kunstwerken.
Ostwald hatte sich für seine Freiluftmalerei im Laufe der Jahre mehrere Reisemalkästen angefertigt (siehe Objekt des Monats Mai 2021). Zum Sitzen nutzte er – wo sich die Gelegenheit ergab – sicher auch Steine, Baumstümpfe oder ähnliche Naturgegebenheiten, überliefert hat sich jedoch auch ein kleiner, transportabler Falthocker. Faltstühle oder -hocker sind seit antiken Zeiten belegt. Bereits vor etwa 4500 Jahren war der Klapphocker in antiken Kulturen im Mittelmeerraum bekannt und beispielsweise auf Siegeln aus Mesopotamien bildlich überliefert. Ebenso wurden solche Sitzgelegenheiten beispielsweise im ägyptischen Pharaonenreich sowie im alten Rom genutzt.
Ostwalds Modell besteht aus einem Metallgestell mit vier ausklappbaren Stellfüßen und ebenso vier klappbaren Trägern einer quadratischen Sitzfläche von circa 26,5 Zentimetern Seitenlänge aus braunem Stoff. Die Sitzhöhe beträgt circa 42 Zentimeter, was für einen erwachsenen Menschen recht niedrig ist, für den Transport aber gleichzeitig ein kleines Packmaß ermöglicht. Zusätzlich lässt sich der Hocker in der Mitte des Gestells einfach auseinandernehmen und in einer passenden Stofftragetasche verstauen. Das Metallgestell lässt keine Herstellermarke erkennen. Auch wenn Ostwald viele Gerätschaften selber herstellte und die optische Erscheinung des Hockers einen einfachen und unscheinbaren Eindruck bietet, dürfte es sich hier doch um ein gewerbliches Produkt handeln. Insbesondere die beiden zentralen Mittelteile lassen eine maschinelle, wohl gesenkgeschmiedete Herstellung annehmen.
Bemerkenswert ist die Anzahl von vier Beinen, wodurch der Hocker auf unebenem Boden im Gelände kaum wackelfrei aufgestellt werden kann. Diesen Nachteil umgehen dreibeinige Klapphocker, die bei unebenem Untergrund für eine gleichmäßigere Belastung der Stellfüße sorgen. Zumindest einer der Füße ist im Laufe der Nutzung so beschädigt worden, dass er ausgetauscht werden musste. Die textile Sitzfläche ist mit den Trägern fest vernietet, dennoch erscheint es aufgrund des guten Erhaltungszustandes nicht unwahrscheinlich, dass auch sie erneuert wurde. Dessen ungeachtet ist der schlichte Falthocker ein beredtes Zeugnis für Wilhelm Ostwalds Malausflüge in Nah und Fern, welches den Pragmatismus seines Nutzers illustriert.