Objekt des Monats Januar 2025
Bereifte Birken als Natur-Graustudien
Wilhelm Ostwald war neben seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit bereits seit Jugend in seiner Freizeit auch als Maler tätig. Dabei widmete er sich über zirka drei Jahrzehnte weit überwiegend der Landschaft als Bildthema. 1912 endete diese Phase abrupt nach seinem Aufenthalt auf Teneriffa, wo noch einmal knapp 40 erhaltene Ölstudien auf Papier entstanden waren.
Sein dadurch geschulter Umgang mit Pinsel und Farbe fand in geänderter Form auch in den Folgejahren noch intensive Anwendung. In Folge seiner Forschungen in der messenden Farblehre entwickelte Ostwald ein zunehmend komplexes System von Farbharmonien, die er aus seinem Farbsystem in streng mathematischer Gliederung ableitete und als Farbflächen in Zweier-, Dreier- oder Viererreihen kombinierte. Der bildhaften Illustration seiner Farbharmonien dienten jedoch ebenso zahlreiche Naturstudien mit Pflanzen und Tieren. In der Sammlung des Ostwald Parks sind weit über 1000 solcher Blätter – zumeist in Ölfarbe auf kleinformatige Papiere oder Karton gemalt – überliefert. Für den unvorbereiteten Betrachter sind diese nicht als Studienblätter mit einem vordefinierten Farbkanon erkennbar. Die Motive sind den Vorbildern der Natur eng folgend wiedergegeben und wo es Abweichungen gibt, zum Beispiel bei einigen Tierstudien in Grautönen, empfindet man dies in Analogie zur Schwarz-Weiß-Fotografie oder entsprechenden Abbildungen in Zeitschriften und Bücher nicht als ungewöhnlich. Farbige Reproduktionen waren zu Ostwalds Lebzeiten die Ausnahme die Reduktion auf Grautöne oder Schwarz-Weiß daher Alltag.
Unter den Grauharmonien Ostwalds hat sich neben zahlreichen anderen Motiven eine Serie mit dem Motiv einer winterlich verschneiten Birke in der Sammlung überliefert. Das weitgehend identisch wiederholte Motiv des leicht nach rechts geneigten Baums auf verschneitem Boden ist dabei aus jeweils vier Tönen der Ostwaldschen Grauleiter gebildet, die auf den Rückseiten der Blätter vermerkt sind. Die von Ostwald im Zuge seiner messenden Farbforschung definierten Graustufen beginnen mit der Bezeichnung »a« bei Weiß und reichen ursprünglich bis »u«. Laut Ostwalds eigener Erkenntnis ist die Abstufungen auf dieser Skale jedoch für die Praxis zu eng und so strich er jede zweite Stufe aus der Grauleiter. Auch ließ sich im Bereich von Schwarz laut Ostwald kein tieferer Ton als »p« herstellen, weswegen die Werte »q-r-s-t« ebenfalls entfielen, woraus sich die Abfolge »a-c-e-g-i-l-n-p« ergab, die letztlich in Ostwalds Farbsystem Anwendung fanden.
Bei den vorgestellten Motiven verwandt Ostwald verschiedenen Abstufungen, die zu sehr unterschiedlichen Bildwirkungen führen. So steht auf einem der Blätter die Birke mit strahlend hell erscheinendem Schnee und schwarzen Geäst vor einem zwar neutral-grauen aber durchaus licht wirkenden Hintergrund. Obwohl Ostwald nur unbunte Farben nutzte, wie er die Grauschattierungen selbst bezeichnete, entsteht doch kein trister Bildeindruck. (c-g-l-p)
In einem anderen Blatt heben sich Baum und Schnee kaum vom grauen Hintergrund ab. Hier sind alle verwendeten Grautöne dicht beieinander gelegen (c-e-g-i), die Kontraste entsprechend gering. Es entsteht für den Betrachter eine andere emotionale Wirkung bei eigentlich identischem Motiv die durchaus als trist bezeichnet werden kann. Unterstütz wird dieser Effekt auch durch die breiten monochromatischen Rahmen. Auch hier ist das obere Beispiel mit einem kontrastierenden, schwarz erscheinenden Rahmen umschlossen, der dem kleinen Bild eine kräftige Präsenz verleiht. Beim zweiten Beispiel ist dieser in einem mittleren Grau und hebt sich nur zögerlich vom Motiv ab. Es rahmt dieses weniger als dass es Teil der Bildfläche ist.
Maße gesamt: ca. 34,5 × 24,7 cm
Motiv: ca. 21,5 × 14,5 cm