Objekt des Monats Juni 2024
Ostwalds Mikroskopieraufbau
Nach seinem Ausscheiden aus der Universität Leipzig und dem permanenten Umzug an seinen Sommerlandsitz „Energie“ in Großbothen betätigte sich Wilhelm Ostwald als freier Forscher. Unter anderem führte ihn sein Interesse an der Malerei, die er seit Kindertagen in seiner Freizeit betrieb, zur mikroskopischen Untersuchung von Gemälden und Farben. Erste Arbeiten fanden noch in Leipzig statt, wo er sich in den Winterferien 1904 von seinem botanischen Kollegen Wilhelm Pfeffer in die Feinheiten der Mikroskopie einführen ließ. Um auch in Großbothen seine wissenschaftlichen Studien weiterführen zu können, erwarb er laut dem überlieferten Briefwechsel im Januar 1907 ein Mikroskop mit der Möglichkeit zur Ölimmersion von Ernst Leitz, Wetzlar. Es handelte sich um das Stativ Ia mit englischem Fuß, das 1905 für 400 Mark erhältlich war. Mit der Zeit erwarb er diverses Zubehör für die Durchführung seiner Arbeiten. Darunter sind diverse Zeichenhilfen, die das Abzeichnen von beobachteten Mikroskopbildern ermöglichen und ein Kreuztisch, der das kontrollierte Verschieben und Absuchen von Präparaten unter dem Mikroskop erlaubte. Außerdem sind ein Objektmikrometer, Okularmikrometer und Vergleichsdauerpräparate erhalten.
1914/15 führte Ostwald beim Experimentieren zur technischen Verwirklichung seines geplanten Farbatlas mikroskopische Pigmentstudien durch. Hierfür bastelte er sich einen eigenen Mikroskoparbeitsplatz, der seinen Platz am Nordfenster seines Privatlabors fand. Zum Sicherstellen einer homogenen Beleuchtung wurde die nördliche Seite des Grundstücks baumfrei gehalten. Für den Arbeitsplatz wurden auf einer Grundplatte aus Pappe Führungsstücke für den Mikroskopfuß und ein geneigtes Zeichenbrett angebracht. Dies erlaubte die reproduzierbare Platzierung des Mikroskops, so dass die Zeichenebene seines Abbeschen Zeichenapparats unverzerrt auf dem Zeichenbrett zu liegen kam. Der Abbesche Zeichenapparat überlagerte, durch ein Spiegel- und Prismensystem, bei einem Blick ins Okular das Mikroskopbild mit dem Zeichenpapier und der Bleistiftspitze. Das Mikroskopbild konnte so relativ einfach zeichnerisch dokumentiert werden.
Ostwald präparierte Pigmentpulver bzw. Ölfarben mit Mohnöl und betrachtete sie mittels Ölimmersions-Mikroskopie unter Zedernöl. Durch Benutzung verschieden harter Bleistifte übertrug Ostwald die Pigmentkörner auf leicht graues Zeichenpapier. Die entstandenen Zeichnungen kolorierte er aufwändig per Hand mit selbst gefertigten Farben, mit Deckweiß war es ihm möglich Lichtreflexe der Pulverproben gegen den grauen Zeichengrund abzuheben. 1915 wurden eine Reihe Schwarz-Weiß Bilder in einer Arbeit zu seinen Füllfarben veröffentlicht. Eine Veröffentlichung der kolorierten Bilder in einem gesonderten Pigmentatlas scheiterte mehrfach an zwei Weltkriegen und der Kostspieligkeit der Durchführung und ist bis heute nicht verwirklicht.
Quelle:
Archiv, W. O. Briefwechsel Leitz-Ostwald. Nachlass Wilhelm Ostwald (1907)
Pohlmann, Albrecht: Von der Kunst zur Wissenschaft und zurück Farbenlehre und Ästhetik bei Wilhelm Ostwald (1853–1932). Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas MLU Halle (2012).