Objekt des Monats April 2021
Ein Hut und die Einladung beim US-Präsidenten

Verpasste Gelegenheiten – Ein Hut und die Einladung beim US-Präsidenten
In seinen Lebenslinien beschrieb Ostwald sehr bildhaft und in Farbtönen gesprochen, seine Reiseerlebnisse in Amerika. Die Kultur und Menschen faszinierten ihn: „An der Bevölkerung überraschte die außerordentliche Gleichförmigkeit des Aussehens. Jeder Mann trug den gleichen Strohhut, […]
Ebenso bestand die Kleidung der berufstätigen Frauen und Mädchen allgemein aus Strohhut, […]“ Ostwald hatte ein enges Verhältnis zur amerikanischen Wissenschaft und deren Repräsentanten. Seine Arbeiten wurden in den USA ebenso geschätzt wie in Deutschland. Zwischen 1888 und 1906 arbeiteten am Ostwaldschen Institut der Leipziger Universität etwa 50 amerikanische Wissenschaftler und bildeten somit die stärkste ausländische Vertretung.
Die erste Reise Ostwalds in die Vereinigten Staaten fand im Sommer 1903 auf Einladung der Universität Berkeley, Kalifornien statt. Ein Jahr später nahm er als Naturphilosoph am Kongress für Wissenschaft und Kunst in St. Louis teil und im Wintersemester 1905/06 las er im Rahmen des neu vereinbarten Professorenaustausches als erster Repräsentant der deutschen Wissenschaft unter anderem an der Harvard Universität in Cambridge und am MIT in Boston. Weiteren Einladungen in die USA konnte Ostwald aus unterschiedlichen Gründen nicht nachkommen.
Im Anschluss an den Kongress in St. Louis waren Ostwald und weitere Teilnehmer zu einem Empfang bei Präsident Theodor Roosevelt nach Washington eingeladen. Zusammen mit seinem Freund Jacobus Henricus van’t Hoff begab er sich auf die Reise. Bei einem Halt in Indianapolis stieg Ostwald aus, um Erfrischungen einzukaufen. Als er zurückkam, war der Zug abgefahren und mit ihm Hut und Gepäck. Der Hut war zu verschmerzen, die 30 Farbskizzen vom Niagara-Fall, erschienen ihm gravierender. Er meldete bahnamtlich den Vorfall und kaufte sich für alle Fälle einen neuen, sehr uneuropäischen Strohhut, der sich noch Jahrzehnte als Mal- und Ferienhut erhalten sollte.
Koffer und Hut waren von van’t Hoff betreut in Ostwalds Hotel angekommen, den Empfang im Weißen Haus hatte er hingegen versäumt. „Van´t Hoff bedauerte, daß ich nicht zugegen gewesen war, denn Roosevelt hätte nach mir gefragt.“ Tochter Grete schrieb: „Wenn ich an meinen viel reisenden Vater aus jener Zeit denke, so sehe ich ihn in strahlender Gesundheit und tatendurstig mit einem wunderschönen, hellgrauen Reisehut in der Hand […]“