Objekt des Monats November
Dokumentenschränke mit Landschaftsbildern
Wilhelm Ostwalds kleinformatigen Ölskizzen auf Papier waren vorrangig für den privaten Zweck der künstlerischen Kreativität und als Ausgleich zur wissenschaftlichen Forschungsarbeit gedacht. Eine Präsentation vor Publikum war wohl nur Nebeneffekt und nicht Intention dieser Malerei. Erst später nahm er aus der Vielzahl der Landschaftsstudien einige Motive als Vorlage für mittelformatige Tafelbilder, ausgeführt überwiegend als Pastellmalereien.
Dennoch fanden auch die Landschaftsstudien, zumindest im persönlichen Umfeld, verschiedene Wege zur Wahrnehmung. So wurden sie teilweise direkt am Entstehungsort an Freunde oder Kollegen als Erinnerungsstücke verschenkt. Auch Gästen des „Landsitzes Energie“ oder Handwerkern und Händlern vor Ort erhielten die eine oder andere Studie zum Geschenk. Die noch immer beeindruckende Zahl von über 1.100 in der Sammlung erhaltenen Arbeiten spiegelt demnach nicht das vollständige Œuvre der Ostwaldschen Landschaftsstudien wider, gibt aber einen sehr breiten und repräsentativen Eindruck dieser Nuance seines Nachlasses.
Eine besondere Form der Alltagspräsenz der Bilder im „Haus Energie“ stellen mehrere Schränke dar, in deren Türblätter und Seitenteile ausgewählte Werke integriert wurden. Bei zwei Schränken sind auf diese Art neun Motive präsentiert, bei weiteren Schränken manchmal nur zwei oder drei. Die Zusammenstellung der verwendeten Blätter folgt dabei keiner topografischen oder chronologischen Ordnung, sondern scheint eher ein „best of“ zu sein. Fernsichten über Wasserflächen oder Wiesenlandschaften stehen neben Nahsichten auf Wege und Baumgruppen. Es versammeln sich Bilder aus Großbothen, Sachsen und der Welt. Die repräsentativste Form stellen dabei sowohl in Hinsicht auf die Möbel selbst als auch auf die integrierten Landschaftsbilder zwei Dokumentenschränke dar. Der Überlieferung in der Familie folgend, wurden diese erst nach Wilhelm Ostwalds Tod 1932 mit den Bildern versehen. Zuvor dürften die entsprechenden Flächen von flachen Holzpanelen ausgefüllt gewesen sein, wie es in dieser Zeit weit verbreitet war und wie es sich in den unteren Bereichen der Schrankfronten erhalten hat. Eine Besonderheit der Schränke stellen zwei direkt an den Korpus angeschlossene Sitzflächen mit beidseitigen Armlehnen und aufklappbarer Sitzfläche dar. Sie nehmen jeweils die halbe Schrankbreite ein und sind spiegelbildlich angeordnet, einmal links- und einmal rechtsseitig. Dies lässt vermuten, dass die Schränke keiner Serienfertigung entstammen, sondern auf individuelle Bestellung und bereits für einen vorbestimmten Aufstellungsort hergestellt wurden.
Aus heutiger Betrachtersicht lässt sich keine stringente Konzeption für die Motivauswahl der beiden Schränke feststellen. Dennoch gibt es in der Gesamtwirkung Unterschiede. Während der linke Schrank eher Motive von Meeresküsten oder Seen im alpinen Bereich und unter weitgehendem Verzicht begrünter Vegetation mit einer gedämpften Farbigkeit in Braun-, Blau- und Grautönen enthält, sind die Bilder des rechten Schranks von reicher, grüner Vegetation in sonniger Farbigkeit dominiert. Hier wie dort gibt es jedoch einzelne Ausnahmen insbesondere auf den Schmalseiten der Schränke, wo hochformatige Bilder verwendet wurden. Davon gibt es deutlich weniger in der Sammlung – was beim Sujet Landschaftsmalerei nur zu verständlich ist. Dies schränkte die Auswahl entsprechend ein und spiegelt sich bis heute bei den Schränken wider. Nichts desto trotz sind die Bilderschränke bemerkenswerte Zeugnisse des Schaffens Wilhelm Ostwalds und des nachfolgenden, ebenso wertschätzenden wie kreativen Umgangs der Familie mit diesem.